Worte der alten Weltmeister

Quelle:
Das Schachgenie Capablanca
Isaak Linder & Wladimir Linder
Sportverlag Berlin (1967)
ISBN: 3-328-00238-3

Obwohl Capablanca weiterhin durch sehr hohe Technik bei der Realisierung eines Übergewichts Siege erreicht, betrübten ihn die vielen Remisen in Turnieren. Bereits während des Moskauer Turniers sagte der Weltmeister nach dem Remis mit Rabinowitsch: „Im Schach wird man bald so leicht spielen, daß eine Reihe unbesiebarer Spieler geben wird.“ Über diese wachsende Gefahr einer „Remiskrankheit“ unter hochklassigen Meistern dachte Capablanca bereits im Jahre 1921 nach, als er das Match gegen Lasker spielte, das mit einer Serie von vier Remisen begann, und es ihm schien, daß es kein Ende geben werde…

 

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Sportverlag Berlin 1967
Capablanca vs. Lasker
Capablanca vs. Lasker

Laskers Vision

Es ist erstaunlich, daß Lasker, der ebenso leidenschaftlich das Schach liebte wie Capablanca und ihm sein ganzes Leben widmete, nicht nur gleichzeitig mit ihm die Aufmerksamkeit auf die Fülle von Remisen wandte, sondern in seinem Buch „Mein Wettkampf mit Capablanca“ mit einer sensationellen Erklärung aufwartete:

„Dem alten Spiel naht eine Schicksalsstunde. Schach in seiner gegenwärtigen Gestalt wird bald den Tod des Remis erleiden. Der Sieg der Gewissheit und des Mechanismus, der unausbleiblich ist, wird das Schicksal des Spiels besiegeln. Dann muß man neue Regeln erfinden, möglicherweise die Anfangsstellung ändern und die Nuancen des Gewinners und Verlierers mannigfaltiger machen, um neue Schwierigkeiten und als neue Geheimnisse zu schaffen: denn man darf das alte Spiel nicht sterben lassen.“

Eine revolutionäre Idee

Capablanca befürchtete auch, daß der Fortschritt in der Schachtheorie früher oder später dazu führen könnte, daß „ein guter Spieler jede Partie zum Remis gestalten kann.“ Deshalb schlug er vor, das Schachbrett auf hundert Felder zu erweitern, neben den König und die Dame neue Figuren zu stellen, die die Gangarten des Turmes und Läufers in sich vereinigen, und schließlich den Bauern zu erlauben, sich sofort drei Felder vorwärts zu bewegen. Mit diesem Problem befasste sich der bereits erwähnte Artikel Capablancas über die Ereignisse des Moskauer Turniers in „Binestre Cubana“ (1926), der außerhalb Cubas leider wenig bekannt wurde. In Verbindung mit dem Vorschlag Capablancas, der sehr orientierenden Charakter trug, erschienen in der Presse Artikel voller Klatsch und Vorwürfe gegen ihn, daß er das Schach abschaffen wolle, und so sah sich der Weltmeister verpflichtet, eine Erklärung abzugeben.

„In Wirklichkeit beweist das, was ich in diesem Zusammenhang gehört und gelesen habe,“ schrieb Capablanca, „daß ich nicht verstanden worden bin. Über das Schachspiel gibt es heute eine umfangreiche Literatur, Tausende von Bänden darüber, was Schach ist und wie man es heute spielt. Vieles gibt es zu bedenken, bevor zu entscheiden ist, um nicht alles zu zerstören. Außerdem ist im Schach bis heute noch nicht die Grenze erreicht. Keinem Spieler ist es bisher gelungen, unbesiegt zu bleiben. Acht Jahre lang blieb ich, und zwar in vier Turnieren und zwei Matchkämpfen, ohne Niederlage, aber Reti gewann schließlich im Jahre 1924 im New Yorker Turnier eine Partie gegen mich. Jetzt habe ich in Moskau gegen zwei weniger bekannte Spieler verloren. Die übrigen Schachspieler konnten es mir heute nicht gleichtun, so daß man sich damit abfinden muß, daß einstweilen beabsichtigte Remisen unmöglich sind.“…

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